Der Glaube an die heiligen Bücher gehört zu den sechs Säulen des Iman (des Glaubens), die der Prophet Muhammad in einem berühmten Hadith aufzählte. Als der Engel Jibril (Gabriel) in menschlicher Gestalt zum Propheten kam und ihn nach dem Iman fragte, antwortete dieser:
„Dass du an Allah glaubst, an die Engel, an die Bücher, an die Propheten, an den Jüngsten Tag und an die Vorherbestimmung.“
Doch was bedeutet dieser Glaube an die Bücher konkret? Es geht um die feste Überzeugung ohne Zweifel, dass Allah Bücher zur Rechtleitung mit Seinen Worten herabgesandt hat. Im Islam ist Glaube keine vage Vermutung („Ich glaube, morgen wird gutes Wetter“), sondern absolute Gewissheit.
Welche Bücher werden im Koran namentlich erwähnt?
Der Koran nennt fünf heilige Schriften explizit beim Namen:
- Der Koran – das letzte und vollständige Buch, offenbart an den Propheten Muhammad
- Die Thora (at-Tawrat) – offenbart an den Propheten Musa (Moses)
- Das Evangelium (al-Indschil) – offenbart an den Propheten Isa (Jesus)
- Die Psalmen (az-Zabur) – offenbart an den Propheten Dawud (David)
- Die Schriften Ibrahims – die Offenbarungen an den Propheten Ibrahim (Abraham)
Natürlich gab es noch weitere Propheten und möglicherweise weitere Offenbarungen. Der Koran erhebt aber keinen Anspruch darauf, alle jemals offenbarten Bücher aufzuzählen – er nennt beispielhaft die wichtigsten.
Islam als universelle Botschaft aller Propheten
Ein grundlegendes Missverständnis über den Islam muss aufgeklärt werden: Der Islam ist keine neue Religion, die erst mit Muhammad begann. Vielmehr ist der Islam die ursprüngliche Religion aller Propheten in ihrer vollendeten Form.
Was bedeutet „Islam“? Das arabische Wort bedeutet Hingabe, Ergebung – die Unterwerfung unter den Willen Allahs mit Liebe, Furcht, Hoffnung und Vertrauen. Ein Muslim ist also jemand, der sich Allah hingibt.
Die Kernbotschaft war bei allen Propheten identisch: der reine Monotheismus (Tauhid). Allah sagt im Koran (Sure 16:36):
„Und Wir haben in jeder Gemeinschaft einen Gesandten erweckt: Dient Allah und meidet die falschen Götter.“
Was sich allerdings im Laufe der Zeit änderte, waren die Schari’a-Gesetze – die konkreten Regelungen für das tägliche Leben. Nicht weil Allah seine Meinung änderte, sondern weil verschiedene Zeiten und Völker unterschiedliche Regelungen benötigten.
Warum ändern sich göttliche Gesetze?
Stell dir einen Arzt vor, der einen Patienten behandelt: In der ersten Phase der Therapie verschreibt er eine bestimmte Medizin, in der nächsten Phase eine andere, und am Ende in der Reha wieder eine dritte. Niemand würde sagen, der Arzt sei inkompetent – er passt die Behandlung an die jeweilige Situation an.
Genauso verhält es sich mit den göttlichen Gesetzen. Mit dem Koran und dem Propheten Muhammad kam die Vollendung der Religion. Allah sagt im Koran:
„Heute habe Ich eure Religion vervollständigt.“
Muhammad ist das Siegel der Propheten (Chatam an-Nabiyyin) – nach ihm kommt kein weiterer Prophet mehr. Der Koran ist die letzte Offenbarung für alle Menschen und alle Zeiten, nicht nur für ein bestimmtes Volk.
Die unbequeme Wahrheit: Verfälschung früherer Schriften
Muslime glauben, dass die Thora und das Evangelium in ihrer ursprünglichen Form von Allah offenbart wurden. Aber sie glauben auch, dass diese Texte im Laufe der Jahrhunderte verändert, erweitert und verfälscht wurden. Was bedeutet Verfälschung konkret?
- Hinzufügungen: Texte wurden eingefügt, die nicht von Allah stammen
- Auslassungen: Wichtige Passagen wurden entfernt
- Veränderungen: Wörter oder Bedeutungen wurden verändert
Wo ist der Beweis dafür? Der Koran selbst spricht an mehreren Stellen darüber:
Sure 2:75: „Habt ihr die Hoffnung, dass sie euch glauben schenken, wo doch ein Teil von ihnen das Wort Allahs verfälschte, nachdem sie es verstanden hatten, und sie es doch wussten?“
Sure 3:78: „Und unter ihnen gibt es welche, die ihre Zungen verdrehen beim Lesen der Schrift, damit ihr meint, es sei aus der Schrift, während es nicht aus der Schrift ist. Und sie sagen: ‚Es ist von Allah‘, während es nicht von Allah ist.“
Sure 5:48: Der Koran wurde gesandt, „um das zu bestätigen, was vorher war, und als Wächter darüber“ – also um zu zeigen, was in den früheren Schriften korrekt ist und was nicht.
Konkrete Beispiele für Verfälschungen
Die katholische Bibel enthält sieben Bücher mehr im Alten Testament als die evangelische Bibel. Das sind immerhin 158 zuseitige Seiten! Die Protestanten betrachten diese Bücher als nicht authentisch – die Katholiken schon. Wer hat nun recht? Und wie kann man von einem unveränderten „Wort Gottes“ sprechen?
Ein weiteres Beispiel: Das Lukasevangelium beginnt nicht wie eine göttliche Offenbarung, sondern wie ein historischer Bericht:
„Da es schon viele unternommen haben, Bericht zu geben von den Geschichten, die unter uns geschehen sind… habe ich es für gut gehalten, nachdem ich alles von Anfang an sorgfältig erkundet habe, es für dich, hochgeehrter Theophilus, in guter Ordnung aufzuschreiben…“
Lukas spricht von sorgfältiger Recherche und davon, dass er einer von vielen ist, die über diese Ereignisse schreiben. Das klingt nicht nach direkter göttlicher Inspiration.
Widersprüche in der Bibel
Im Matthäusevangelium (27:3-5) wird berichtet, dass Judas sein Geld in den Tempel warf und sich erhängte. In der Apostelgeschichte (1:18) heißt es dagegen, er habe von dem Geld ein Grundstück gekauft, sei kopfüber gestürzt und „sein Leib barst auseinander und alle seine Eingeweide fielen heraus“.
Das sind zwei völlig unterschiedliche Berichte über denselben Vorfall. Beide können nicht gleichzeitig wahr sein.
Der Koran: Ein geschütztes Buch
Im Gegensatz zu früheren Schriften hat Allah versprochen, den Koran selbst zu bewahren. In Sure 15:9 heißt es:
„Wahrlich, Wir haben die Ermahnung herabgesandt, und Wir werden sie gewiss bewahren.“
Wie wird der Koran geschützt? Durch mehrere Mechanismen:
- Auswendiglernen: Millionen Muslime weltweit können den gesamten Koran auswendig – Kinder, Erwachsene, selbst Menschen, die kein Arabisch sprechen
- Präzise Überlieferung: Die Rezitationsregeln (Tajwid) werden so genau weitergegeben, dass selbst kleinste Aussprachefehler korrigiert werden
- Schriftliche Dokumentation: Der Koran wurde bereits zu Lebzeiten des Propheten niedergeschrieben
Kein anderes Buch der Weltgeschichte wird so präzise bewahrt und überliefert wie der Koran.
Wie Muslime mit früheren Schriften umgehen sollen
Der Prophet Muhammad gab uns klare Anweisungen, wie wir mit Informationen aus Thora und Evangelium umgehen sollen:
- Bestätigt den Koran? Dann akzeptieren wir es als korrekt
- Widerspricht dem Koran? Dann ist es verfälscht
- Weder noch? Dann sagen wir „Allahu a’lam“ (Allah weiß es am besten)
Wir bezichtigen die Leute der Schrift nicht pauschal der Lüge, aber wir glauben ihnen auch nicht blind. Wir halten uns an das, was Allah uns im Koran offenbart hat.
Die Autorität des Korans
Allah sagt in Sure 4:59: „Und gehorcht Allah und gehorcht dem Gesandten.“
Und in Sure 5:44: „Wer nicht nach dem urteilt, was Allah herabgesandt hat – das sind die Ungläubigen.“
Der Prophet hatte die Aufgabe, den Koran nicht nur zu überbringen, sondern ihn auch zu erklären. Deshalb können Muslime den Koran nicht einfach nach eigenem Gutdünken interpretieren. In Sure 16:44 heißt es:
„Wir haben dir die Ermahnung herabgesandt, damit du den Menschen klar machst, was ihnen herabgesandt worden ist.“
Die Interpretation des Korans basiert auf den Erklärungen des Propheten (Sunnah), dem Verständnis der Gefährten und der etablierten islamischen Gelehrsamkeit – nicht auf subjektiven Meinungen.
Zusammenfassung
Der Glaube an die heiligen Bücher bedeutet: Muslime glauben an die ursprünglichen Offenbarungen, die Allah den Propheten gab – die Thora an Musa, das Evangelium an Isa, die Psalmen an Dawud und die Schriften Ibrahims. Sie glauben jedoch auch, dass diese Texte im Laufe der Zeit verfälscht wurden.
Der Koran ist die letzte und vollständige Offenbarung, die von Allah selbst geschützt wird. Er bestätigt, was in früheren Schriften korrekt ist, korrigiert was verfälscht wurde und vervollständigt die göttliche Botschaft für alle Menschen bis zum Tag der Auferstehung.
Diese Position ist keine Arroganz gegenüber anderen Religionen, sondern die logische Konsequenz aus dem Glauben an einen allmächtigen, weisen Gott, der Seine Botschaft vollenden und bewahren wollte – und genau das mit dem Koran getan hat.
