Der Glaube an den Jüngsten Tag ist eine der sechs Säulen des islamischen Glaubens und beschreibt die Ereignisse nach dem Tod bis zur ewigen Bestimmung im Paradies oder der Hölle. Diese Säule umfasst drei zentrale Bereiche: die Zeichen der Stunde (kleine und große Vorzeichen), die Befragung im Grab durch zwei Engel sowie die Auferstehung mit Abrechnung, Waage und der Überquerung der Brücke As-Sirat über der Hölle.
Jüngster Tag im Islam
Im Gegensatz zum Judentum und Christentum, wo du in den fünf Büchern Moses praktisch nichts über das Jenseits findest, bietet der Islam eine umfassende Beschreibung. Diese Details sind kein Zufall – sie sind Medizin für dein Herz und eine Motivation für dein wahres Lebensziel: die ewige Glückseligkeit zu erreichen.
Aischa (möge Allah mit ihr zufrieden sein) erklärte die Weisheit dahinter: Hätte der Koran zuerst mit Verboten begonnen („Trinkt keinen Alkohol!“, „Begeht keine Unzucht!“), hätten die Menschen gesagt: „Wir werden das niemals aufgeben!“ Stattdessen kamen zuerst die kurzen Suren mit Erinnerungen an das Jenseits. Erst als der Iman fest in den Herzen verankert war, kamen die Gebote und Verbote – und die Menschen waren bereit, sie zu befolgen.
Warum gehen Menschen ins Fitnessstudio? Weil sie ein Ziel vor Augen haben: einen besseren Körper. Sie genießen sogar die anstrengende Arbeit, weil sie wissen, wohin es führt. Genauso verhält es sich mit dem Glauben an das Jenseits: Er gibt dir die Motivation, die Anstrengungen des diesseitigen Lebens zu ertragen.
Die drei Bereiche der fünften Säule
Der Glaube an den Jüngsten Tag umfasst drei Hauptbereiche:
- Die Zeichen der Stunde (Vorzeichen des Jüngsten Tages)
- Die Befragung und das Leben im Grab
- Die Auferstehung, Abrechnung, Paradies und Hölle
Die Zeichen der Stunde: Klein und Groß
Die Zeichen unterteilen sich in kleine und große Zeichen. Von den kleinen Zeichen sind bereits viele eingetreten – mit erstaunlicher Genauigkeit.
Das bekannteste kleine Zeichen stammt aus dem Hadith von Jibril: Der Prophet sagte, dass du die mittellosen, barfüßigen Hirten sehen wirst, wie sie sich gegenseitig überbieten im Bau hoher Gebäude. Schau dich heute um: Die Nachkommen einfacher Hirten auf der arabischen Halbinsel bauen die höchsten Gebäude der welt – Burj Khalifa, Jeddah Tower und mehr.
Weitere bereits eingetretene kleine Zeichen:
- Die Entsendung des Propheten Muhammad
- Die Eroberung Jerusalems durch die Muslime
- Die Eroberung Konstantinopels (Istanbul)
- Das Auftreten falscher Propheten
Die zehn großen Zeichen sind dramatische Ereignisse, die niemand mehr verleugnen kann:
- Der Mahdi – Ein rechtgeleiteter Führer namens Muhammad ibn Abdullah, ein Nachfahre von Hassan
- Der Dajjal (Antichrist) – Ein einäugiger Mensch, der die Menschen mit scheinbaren Wundern verführt
- Die Rückkehr von Isa (Jesus) – Er wird östlich von Damaskus bei einem weißen Minarett herabkommen
- Ya’juj und Ma’juj (Gog und Magog) – Zwei riesige Völker, die seit Jahrtausenden eingesperrt sind
- Drei gewaltige Erdrutsche – Im Westen, im Osten und auf der Arabischen Halbinsel
- Ein großer Rauch, der die Menschen umfasst
- Ein sprechendes Tier aus der Erde, das den Menschen Zeichen auf die Stirn gibt
- Die Sonne geht im Westen auf – Allah, Der sie im Osten aufgehen lässt, kann sie auch im Westen aufgehen lassen
- Die Zerstörung der Kaaba durch einen Mann aus Abessinien
- Ein Feuer aus dem Jemen, das die Menschen versammelt
Diese Zeichen sind so außergewöhnlich, dass nach ihrem Eintreten niemand mehr zweifeln wird.
Das Leben im Grab: Befragung und Prüfung
Viele wissen nicht, dass das Leben nach dem Tod nicht erst am Jüngsten Tag beginnt, sondern bereits im Grab. Die hanafitische, malikitische, schafiitische und hanbalitische Rechtsschule sind sich einig: Die Befragung und Bestrafung oder Belohnung im Grab sind Realität.
Die zwei Engel Munkar und Nakir
Nach deiner Beerdigung kommen zwei Engel zu dir ins Grab. Sie richten dich auf und stellen dir drei entscheidende Fragen:
- Wer ist dein Herr? (Man Rabbuka?)
- Was ist deine Religion? (Ma Dinuka?)
- Wer ist dieser Mann, der zu euch gesandt wurde? (Man haadha ar-Rajul?)
Deine Antworten entscheiden über dein Schicksal im Grab. Der Gläubige antwortet ohne zu zögern: „Mein Herr ist Allah, meine Religion ist der Islam, und dieser Mann ist Muhammad, der Gesandte Allahs.“ Daraufhin wird ihm ein Fenster zum Paradies geöffnet, sein Grab wird weit und hell, und ein wohlriechender Duft erfüllt es.
Der Ungläubige hingegen stammelt: „Ich weiß nicht… ich habe gesagt, was die anderen gesagt haben.“ Sein Grab wird eng wie eine Zelle, und er erlebt bereits dort eine Vorschau auf die Bestrafung in der Hölle.
Aber wie passen zwei Engel in ein enges Grab?
Diese Frage zeigt, dass wir das Jenseits mit den Maßstäben des Diesseits messen. Allah hat die Macht über alle Dinge. Er hat uns in einer vierdimensionalen Welt erschaffen (Höhe, Breite, Länge, Zeit). Er könnte uns auch in einer zweidimensionalen Welt erschaffen, in der wir nur auf einem Blatt Papier existieren würden. Das Grab ist eine Parallelwelt, die unseren physischen Gesetzen nicht unterworfen ist.
Die Beweise aus Quran und Sunna
Im Quran (Sure 40, Verse 45-46) heißt es über die Pharaonen: „Das Höllenfeuer, dem sie morgens und abends vorgeführt werden. Und am Tag, da sich die Stunde erhebt, (wird es heißen:) ‚Lasst die Leute Pharaos in die strengste Strafe eintreten.'“
Sie werden also bereits im Grab bestraft – und am Jüngsten Tag kommt die endgültige, noch härtere Strafe.
Der Prophet ging einmal an zwei Gräbern vorbei und sagte: „Diese beiden werden bestraft, und sie werden nicht wegen etwas Großem bestraft.“ Er erklärte dann, warum sie bestraft werden, und betete in jedem Gebet um Schutz vor der Strafe des Grabes.
Der Tag der Auferstehung: 50.000 Jahre voller Schrecken
Wenn der Engel Israfil zum zweiten Mal ins Horn bläst, stehen alle Toten auf. Nackt, barfuß und unbeschnitten verlassen sie ihre Gräber. Männer, Frauen, alle zusammen – doch niemand schaut nach dem anderen, denn die Furcht vor diesem Tag ist zu gewaltig.
Die unerträgliche Hitze
Die Sonne kommt der Erde so nah, dass eine unerträgliche Hitze entsteht. Die Menschen schwitzen, und je nach ihren Taten steigt der Schweiß unterschiedlich hoch am Körper. Manche schwitzen nur bis zu den Knöcheln, andere bis zum Hals, wieder andere ertrinken praktisch in ihrem eigenen Schweiß.
Wie lange dauert diese Versammlung? 50.000 Jahre! Stell dir vor: Die meisten Menschen leben keine 100 Jahre, aber dieser eine Tag der Versammlung dauert 50.000 Jahre.
Die sieben, die Schatten bekommen
An diesem Tag gibt es sieben Gruppen von Menschen, denen Allah Seinen Schatten gewährt:
- Ein Jugendlicher, der in der Anbetung Allahs aufgewachsen ist
- Jemand, dessen Herz an der Moschee hängt
- Jemand, dessen rechte Hand spendet, ohne dass die linke es weiß
- Jemand, der alleine an Allah denkt und dabei weint
- Jemand, der einen anderen Menschen um Allahs willen liebt
- Ein gerechter Herrscher
- Jemand, der einer Versuchung widerstanden hat
Wenn du überlegst, 50.000 Jahre unter dieser Sonne zu stehen, dann wird klar: Es lohnt sich, für diesen Schatten zu arbeiten!
Die Verteilung der Bücher: Rechte oder linke Hand?
Nach der langen Versammlung werden die Bücher verteilt – die Aufzeichnungen deiner Taten, die von den Engeln Kiraman Katibin angefertigt wurden. Kein Wort, das du gesprochen hast, ist verloren gegangen. Alles wurde aufgezeichnet.
Das Buch in der rechten Hand
Wer sein Buch in die rechte Hand bekommt, ruft voller Freude: „Ha-umalaqra’u kitabiyah!“ – „Hier, lest mein Buch!“ Er wusste, dass er diese Abrechnung bekommen würde. Sein Gesicht strahlt vor Freude.
Stell dir vor: Nach 50.000 Jahren Warten, nach all der Furcht und Sorge – endlich bekommst du das Buch in die rechte Hand. Was für eine unbeschreibliche Erleichterung!
Das Buch in der linken Hand
Wer sein Buch von hinten in die linke Hand bekommt, verzweifelt: „Yaa laitanii lam uuta kitabiyah!“ – „O wäre mir doch mein Buch nicht gegeben worden!“ Die Verzweiflung ist absolut. Er sagt: „Hätte ich doch nie von meiner Abrechnung gewusst!“
Diese Verse sind Medizin für unser Herz. Sie sollen uns motivieren, so zu leben, dass wir das Buch in die rechte Hand bekommen.
Die Waage: Jedes Staubkörnchen zählt
Nach der Verteilung der Bücher kommt die Waage. Allah sagt: „Wer auch nur das Gewicht eines Staubkörnchens an Gutem getan hat, wird es sehen. Und wer auch nur das Gewicht eines Staubkörnchens an Schlechtem getan hat, wird es sehen.“
Was wird gewogen? Es gibt drei Meinungen unter den Gelehrten:
- Die Taten selbst werden gewogen (Allah macht sie zu etwas Messbarem)
- Der Mensch, der die Tat begangen hat, wird gewogen
- Die Aufzeichnungen (die Bücher) werden gewogen
Wahrscheinlich ist alles richtig – Allah hat die Macht, jede dieser Formen der Abrechnung durchzuführen.
Das Beispiel von Abdullah ibn Mas’ud
Der Prophet ging einmal mit seinen Gefährten spazieren, als ein heftiger Wind kam. Abdullah ibn Mas’ud musste sein Gewand festhalten, und dabei sah man seine extrem dünnen Beine. Einige Gefährten lachten darüber. Da sagte der Prophet: „Bei Dem, in Dessen Hand meine Seele ist, diese dünnen Beine sind in der Waage schwerer als der Berg Uhud!“
Das zeigt: Es geht nicht um äußere Erscheinung, sondern um die Taten und den Iman im Herzen.
As-Sirat: Die Brücke über der Hölle
Nach der Waage kommt As-Sirat – eine Brücke über der Hölle, dünner als ein Haar und schärfer als ein Schwert. Je nach deinen Taten überquerst du diese Brücke:
- Manche wie ein Blitz – in Sekundenschnelle
- Manche wie der Wind – sehr schnell
- Manche wie ein Vogel – fliegend
- Manche laufen
- Manche krabbeln
- Manche fallen hinein, gefangen von den Haken entlang der Brücke
Der Prophet Muhammad steht auf dieser Brücke und ruft: „Allahumma sallim, sallim!“ – „O Allah, lass sie sicher hinüberkommen!“
Das Paradies: Mehr als du dir vorstellen kannst
Allah sagt in einem heiligen Hadith: „Ich habe für Meine rechtschaffenen Diener vorbereitet, was kein Auge gesehen hat, was kein Ohr gehört hat und was im Herzen eines Menschen niemals vorstellbar war.“
Selbst der letzte Mensch, der aus der Hölle herauskommt und ins Paradies eintritt, bekommt zehnmal so viel wie die ganze Dunja. Und der Prophet sagte, dass ein Platz im Paradies von der Größe einer Peitsche besser ist als die gesamte Welt und alles, was sich darin befindet.
Was erwartet dich im Paradies?
- Ewiges Leben ohne Tod
- Keine Ausscheidungen – alles, was du isst und trinkst, kommt als Moschus-Duft aus deinen Poren
- Die Zeit spielt keine Rolle mehr – du hast die Ewigkeit, um alles zu genießen
- Jeder Wunsch wird erfüllt, bevor du ihn überhaupt aussprichst
- Das Schönste: Du wirst Allah sehen
Das Größte im Paradies ist nicht der Reichtum, nicht die Paläste, nicht die Flüsse – es ist die Begegnung mit Allah. Das ist das ultimative Ziel jedes Gläubigen.
Die Hölle: Ein Ort, den niemand erleben möchte
Die Hölle ist 70-mal heißer als das heißeste Feuer auf dieser Welt. Die Beschreibungen im Quran sind erschreckend:
- Das Gesicht wird vom Feuer umschlossen
- Die Haut verbrennt und wird erneuert, damit der Schmerz nicht nachlässt
- Das Essen im Hals bringt unerträgliche Qualen hervor
- Die Getränke bestehen aus siedendem Wasser und Eiter
- Die Kleider sind aus Teer
Selbst eine Sekunde in der Hölle wäre unerträglich – wie viel schlimmer ist dann die Ewigkeit dort?
Was bedeutet das für dein Leben?
Der Glaube an den Jüngsten Tag ist nicht einfach nur ein theoretisches Konzept. Er soll dein Leben verändern:
Keine kleine Sünde unterschätzen
Wenn du weißt, dass jedes Staubkörnchen gewogen wird, wirst du vorsichtiger mit deinen Taten. Eine „kleine“ Lüge, ein „kleiner“ Tratsch, ein „kleiner“ Blick auf Verbotenes – alles wird aufgezeichnet.
Keine gute Tat unterschätzen
Gleichzeitig weißt du, dass jede gute Tat mindestens zehnfach belohnt wird. Ein Lächeln, ein freundliches Wort, eine kleine Spende – alles zählt.
Bereite die richtigen Antworten vor
Die Fragen im Grab kommen mit Sicherheit. Kannst du jetzt schon antworten? Weißt du, warum du Muslim bist? Oder sagst du nur: „Ich bin Muslim, weil meine Eltern Muslime sind“? Das reicht nicht! Du musst Beweise für deinen Glauben kennen.
Lebe mit dem Ziel vor Augen
So wie jemand ins Fitnessstudio geht, weil er ein Ziel hat, solltest du jede gute Tat mit dem Ziel des Paradieses vor Augen tun. Das gibt dir die Kraft, durchzuhalten, wenn es schwer wird.
Zusammenfassung: Die Reise ins Jenseits
Deine Reise durchs Jenseits verläuft in mehreren Stationen:
- Das Grab – Befragung durch die Engel, Belohnung oder Bestrafung
- Die Auferstehung – Das zweite Blasen ins Horn
- Die Versammlung – 50.000 Jahre unter der Sonne (oder im Schatten Allahs)
- Das Becken des Propheten – Wer daraus trinkt, hat nie mehr Durst
- Die Verteilung der Bücher – Rechte oder linke Hand?
- Die Waage – Jedes Staubkörnchen wird gewogen
- As-Sirat – Die Brücke über der Hölle
- Das endgültige Ziel – Paradies oder Hölle
Jede dieser Stationen sollte dich zum Nachdenken bringen. Wie wirst du diese Reise meistern? Die Antwort liegt in deinem heutigen Leben. Jede Entscheidung, die du triffst, jedes Wort, das du sprichst, jede Tat, die du begehst – alles bereitet dich auf diese Reise vor.
Der Quran sagt: „Jede Seele wird den Tod kosten. Dann werdet ihr zu Uns zurückgebracht. Wer also vom Höllenfeuer ferngehalten und ins Paradies eingelassen wird, der hat wahrlich Erfolg erlangt.“ (Sure 3:185)